Interview mit Sr. Rita Schiffer – Preisträgerin des Else Kröner Fresenius Preis für Medizinische Entwicklungszusammenarbeit 2022

Der Else Kröner Fresenius Preis für Medizinische Entwicklungszusammenarbeit wird in diesem Jahr an Sr. Rita Schiffer, Missionsärztliche Schwestern, Ärztliche Leiterin des Attat Hospitals, Äthiopien, für das Projekt „Nachhaltigen chirurgische Versorgung in Attat“ verliehen.

Sr. Rita Schiffer

Liebe Sr. Rita Schiffer, herzlichen Glückwunsch zum Else Kröner Fresenius Preis für Medizinische Entwicklungszusammenarbeit 2022. Als ärztliche Leiterin des Krankenhauses Attat und Gynäkologin sind Sie für die chirurgische Gynäkologie und operative Notfallchirurgie verantwortlich. Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus?

Gegen 8:00 Uhr beginne ich im Krankenhaus mit organisatorischen Absprachen. Um 8:30 Uhr ist Ärztebesprechung, an manchen Tagen mit den chirurgisch Tätigen, an anderen mit den internistisch tätigen Ärztinnen und Ärzten und „Health Officers“. Danach geht es, je nach Dienstwoche, in die Ambulanz oder zur Stationsvisite oder in den Kreissaal. Der Arbeitsschwerpunkt am Morgen ist in der Ambulanz. Am Nachmittag operiere ich und gehe zwischendurch in die Ambulanz, die offiziell um 17:00 Uhr schließt. Von 17:00 bis 18:00 Uhr Dokumentation der Ambulanzpatientenakten und Operationen. Falls ich Nachtdienst habe, beginnt die Rufbereitschaft von 17:00 Uhr bis morgens um 08:00 Uhr.

Seit 1997 arbeiten Sie in Äthiopien. Was war Ihre wichtigste Erfahrung in dieser Zeit?

Die prägendste Erfahrung für mich ist das Erleben, wie die meisten Menschen hier mit Schicksalsschlägen oder Enttäuschungen umgehen. Sie meistern ihr oft hartes Leben mit Zuversicht, Gottvertrauen und Hoffnung.

Würden Sie uns die nachhaltigen Ziele Ihres Projekts näher beschreiben?

Unser Hauptziel ist, eine erreichbare, qualifizierte und verlässliche Gesundheitsversorgung für einfache Leute zu geben. Neben der Routineversorgung in der Ambulanz und auf den Stationen zeigt sich das in der steten Operationsbereitschaft, in niedrigschwelligen (bezuschussten) Operationsangeboten, zum Beispiel für Senkungsoperationen und in kostenloser Betreuung von Schwangeren und Geburtshilfe. Für Risikoschwangere konnten wir mit dem Modell eines „Maternity waiting home“ auf dem Krankenhausgelände Pionierarbeit im Land leisten.
Ein zweiter wichtiger Schwerpunkt ist die Aus- und Fortbildung. Seit Jahrzehnten ist das Krankenhaus Praktikumsort für Krankenschwestern, Hebammen, MTAs und war, besonders vor einigen Jahren, Ausbildungsplatz in der Chirurgie. Des Weiteren bemühen wir uns um die Weiterbildung unseres eigenen Personals und fördern begabte Jugendliche aus den umliegenden Dörfern.

Der Preis ist mit 100.000 Euro dotiert. Für was werden Sie das Preisgeld nutzen?

Dringender Bedarf ist eine Lohnsteigerung für unsere 200 Angestellten, da die momentane Inflationsrate im Land ein normales Auskommen unmöglich macht. Dann natürlich die Finanzierung von Aus- und Weiterbildung von Personal. Des Weiteren muss ein Teil des Spezialbodens im Operationstrakt erneuert werden. Den Restbetrag werden wir besonders für den Kauf von Infusionsflüssigkeit, chirurgischem Nahtmaterial, sterile OP-Handschuhe und unsterile Latexhandschuhe nutzen. Die Preise für diese und viele andere Medikamente sind in den letzten drei Jahren um das sechsfache gestiegen. Es ist unmöglich, diese Kosten an unsere Patientinnen und Patienten eins zu eins weiterzugeben.

Vielen Dank

 

Nominiert wurde das diesjährige Preisträgerprojekt von Jugend Eine Welt. Im Interview berichtet Reinhard Heiserer, Geschäftsführer von Jugend Eine Welt über die Zusammenarbeit mit dem Attat Hospital. 

Lieber Herr Heiserer, was ist in Ihren Augen das Besondere an dem Projekt „Nachhaltige chirurgische Versorgung in Attat“?

Das Krankenhaus in Attat wurde nach der Gründung durch Dr. Anna Dengel, einer der ersten österreichischen Ärztinnen, weit über den lokalen Standort hinaus bekannt für sein besonderes Augenmerk auf Geburtshilfe und Chirurgie. Über 3.000 Geburten sind es, die derzeit jährlich betreut werden und die Verfügbarkeit des chirurgischen Angebotes erhöht insbesondere bei vielen Müttern und Kindern bei Geburtskomplikationen die Überlebenschancen. Damit ist sichergestellt, dass aus einem freudigen Ereignis kein furchtbar trauriges wird! Und nachhaltige chirurgische Versorgung heißt für mich auch, dass es ausgebildetes Gesundheitspersonal gibt, um Chirurgen und Chirurginnen bei ihrer wichtigen Aufgabe zu unterstützen. Und auch hier ist Sr. Rita Vorreiterin: Sie und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen seit vielen Jahren im Krankenhaus Attat dringend nötige Praktikumsausbildungsplätze in großer Zahl für angehendes medizinisches Personal zur Verfügung, welches ansonsten oft nur theoretisch und ungenügend praktisch für seine kommenden Aufgaben vorbereitet wird.
Seit über 50 Jahren können die Menschen um Attat auf eine kompetente chirurgische Betreuung durch Sr. Rita und ihren Vorgängerinnen zählen. Seit der Gründung 1969 gab es immer eine Ärztin vor Ort, die dringende OPs durchführen konnte. Dieses Angebot, in Verbindung mit einem umfassenden Hygiene- und Ernährungsaufklärungsprogramm in den letzten Jahrzehnten hat das Krankenhaus zu einem Leuchtturm medizinischer und menschlicher Hilfestellung gemacht.

Wie unterstützt die Organisation Jugend Eine Welt das Projekt vor Ort?

Unsere Organisation unterstützt mit dem österreichischen Verein Freunde Anna Dengel das Krankenhaus und die Missionsärztlichen Schwestern seit vielen Jahren. Neben vielfältiger Vernetzungsarbeiten und kleineren Hilfen standen in den letzten Jahren strategische Förderfragen im Mittelpunkt. Analysen von auf Krankenhausmodernisierung spezialisiertem Fachpersonal sowie Fördergeberrecherche hielten uns auf Trab. Der größte Erfolg ist wohl Ihre Auswahl des Projektes und der Leiterin Dr. Rita Schiffer als Preisträgerin 2022.
Jede öffentliche Aufmerksamkeit hilft uns und dem Krankenhaus, weitere Mittel für offene Aufgaben und Vorhaben einzuwerben, um das Krankenhaus kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Was wünschen Sie sich für das Projekt für die Zukunft?

Mein größter Wunsch wäre, wenn Sr. Rita und das Krankenhaus Attat Zugang zu gesicherter Versorgung zu Medizinprodukten und medizinischem Verbrauchsmaterial in Äthiopien selbst bekommen würde. Leider ist für manche Produkte die lokale Versorgungslage sehr schlecht und oft muss improvisiert werden. Es ist schade, dass das staatliche Gesundheitswesen in Äthiopien nur bedingt die gesetzten Erwartungen erfüllt. Und insgesamt wünsche ich mir, dass Sr. Rita und ihr tolles Team auch weiterhin auf die internationale Unterstützung und Aufmerksamkeit bauen kann, um lokal Menschen in medizinischer Not helfen zu können. Ihre Unterstützung ist Not lindernd, Unfall heilend und Gesundheit fördernd.