Natur + Medizin

Neue Dauerausstellung ab 18. April im Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt
Hier wimmelt es vor Arzneistoffen aus der Natur: Ausschnitt aus dem wandfüllenden Leuchtbild in der Ausstellung „Natur + Medizin“.

Frankfurt am Main, 16.04.2024. Insektenschutz aus Tausendfüßer-Sekret, Schwangerschaftstest per Krallenfrosch-Substanzen, Krebstherapie mit Hilfe eines Meeresschwamms – was verblüffend klingt, gibt es wirklich: Menschen und auch Tiere nutzen zahlreiche Naturstoffe für ihre Gesundheit. Die neue Dauerausstellung „Natur + Medizin“ im 2. Obergeschoss des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt gibt ab 18. April Einblick in die erstaunliche Vielfalt dieser Wirkstoffe aus dem Reich der Pilze, Flechten, Bakterien, Pflanzen und Tiere und ihren medizinischen Nutzen. Ein riesiges Leuchtbild hinter einer rekonstruierten Apothekenfassade versammelt in einer eindrucksvollen Collage über 100 dieser für die Pharmazie bedeutsamen Organismen. Zudem werden die Geschichte der Heilkunde, globale Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Biodiversität und Anthroposphäre sowie die „Medizin der Tiere“ betrachtet. Die Ausstellung wurde ermöglicht durch die Else Kröner-Fresenius-Stiftung.

Ein außergewöhnlicher „Dschungel“ leuchtet auf einem sieben Meter breiten und deckenhohen Bild durch die Pforte der historischen Hirsch-Apotheke im Zentrum der Ausstellung: Über den rosa Blüten eines Fingerhuts schwebt ein Fischwarm, gleich neben einem überdimensionalen Kolibakterium und auf dem gigantischen Austernpilz steht ein winziges Pferd. Sie alle und die zahlreichen weiteren Organismen, die zu sehen sind, haben eines gemeinsam – sie werden in der Pharmazie und Medizin als Heilstoffe genutzt. Welche Wirkstoffe sich genau in den einzelnen Lebewesen verbergen und wie sie in Medikamenten zur Anwendung kommen, können Besucher*innen an einem Medienterminal herausfinden.

„Die ‚Naturapotheke‘ ist durch den Verlust der Artenvielfalt und die menschliche und industrielle Ausbeutung der Naturressourcen und des Naturwissens stark bedroht. Ein neuer Umgang, gerade auch mit dem weltweiten Gesundheitswissen ist dringend nötig. Ich freue mich sehr, dass wir dank der Förderung der Else-Kröner-Fresenius-Stiftung nun sowohl einen Blick auf das heutige und auf historische Verhältnisse von Natur + Medizin werfen und globale Perspektiven aufzeigen“, erklärt Prof. Dr. Brigitte Franzen, Direktorin des Naturmuseums am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. Der Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Prof. Dr. Klement Tockner erläutert weiter: „Der One-Health-Ansatz basiert auf dem Verständnis, dass die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt eng miteinander verwoben sind. Vorbeugung und interdisziplinäre Zusammenarbeit, insbesondere zwischen Humanmedizin und Umweltwissenschaften, sind jedoch unerlässlich, um die Wechselwirkungen zwischen Biodiversität, Klimawandel und menschlicher Gesundheit zu verstehen und folglich innovative Strategien zum Schutz der Natur und des Menschen zu entwickeln. Wir benötigen dringend einen Paradigmenwechsel hin zu einem Natur-positiven Handeln und einen ganzheitlichen Ansatz im Schutz der Umwelt und in der Sicherung unseres Wohlergehens, der Prävention und Vorsorge ins Zentrum stellt.“

Um bedrohte Tiere geht es im Ausstellungsbereich „Falsche Medizin“. Die dort ausgestellten Exponate, wie Tigerfell und Narwalzahn stehen als Beispiele für Organismen, die vermeintlich Wirkstoffe enthalten und deshalb gejagt oder getötet werden. „Das am häufigsten illegal gehandelte Tier weltweit ist aktuell das Schuppentier. Durch mangelndes Wissen oder fehlenden Zugang zu Medikamenten werden diese und viele weitere Arten bedroht“, erläutert Museumskurator Dr. Thorolf Müller. Dass auch frühe Praktiken der Heilkunde von mythischen, spirituellen oder philosophischen Vorstellungen geprägt waren, wird im Kapitel „Geschichte der Medizin“ exemplarisch thematisiert. Archäologische Funde belegen aber auch, dass Menschen mit den Heilmitteln aus der Natur oft richtig lagen und es sich manchmal um ein sehr altes Wissen handelt. In der Reiseapotheke der 5000 Jahre alten Eismumie „Ötzi“ fanden Forschende einen Baumpilz, den Birkensporling – seine antibiotische und blutstillende Wirkung ist heute wissenschaftlich nachgewiesen.

Ebenfalls historisch ist die Fassade, die den Ausstellungsraum gliedert, und der Frankfurter Hirsch-Apotheke, einer der ältesten Apotheken der Mainmetropole, nachempfunden ist. Sie ist die Keimzelle des Fresenius-Konzerns und der gemeinnützigen Else Kröner-Fresenius-Stiftung, die das Ausstellungsprojekt maßgeblich fördert. „Unsere Stifterin, Else Kröner, hat von der Hirsch-Apotheke ausgehend in ihrem beeindruckenden Lebenswerk einen weltweit tätigen Gesundheitskonzern aufgebaut. Ihr Ziehvater, Dr. Eduard Fresenius, unterhielt einen Apothekergarten für die Gewinnung von Grundstoffen seiner naturheilkundlichen Produkte, und heute stellt das Unternehmen Fresenius aus Naturstoffen Medikamente her. Auf diese Entwicklung und auf die Bedeutung der Naturstoffe in der modernen Medizin wollen wir die Allgemeinheit, aber auch besonders alle im Gesundheitsbereich Tätigen hinweisen“, erläutert Prof. Dr. Michael Madeja, Vorstandsvorsitzender der Else Kröner-Fresenius-Stiftung.

Blick durch die Pforte der Hirschapotheke auf die Leuchtbild- Collage mit den für die Pharmazie bedeutsamen Organismen.
Faszinierende Tiere: Nacktmulle sind für die Schmerz- und Krebsforschung interessant, da sie sehr alt werden, unempfindlich gegen Schmerzen sind und äußerst selten an Krebs erkranken.

Nicht nur Menschen, sondern auch Tiere nutzen Stoffe aus der Natur, um sich selbst zu heilen: So nehmen manche Vögel, wie der Eichelhäher, ein Bad in einem Ameisenhaufen und schützen mithilfe der Ameisensäure ihr Gefieder vor Parasiten wie Milben, Läusen, Bakterien oder Pilzen. „Das gleiche Ziel verfolgt auch der Schwarzmaki, wenn er an einem Tausendfüßer knabbert und dessen Sekret in seinem Fell verteilt. Dass die Flüssigkeit den Halbaffen auch in einen Rauschzustand versetzt, ist eine Nebenwirkung, die unsere Museumspräparatorin im Gesichtsausdruck des Ausstellungsstücks überzeugend eingefangen hat“, erläutert Museumskuratorin Adela Kutschke. Eine Wandprojektion mit Soundeffekten greift weitere Geschichten der Selbstheilung von Tieren exemplarisch auf. Manche Tiere verblüffen Naturforschende in der Biomedizin auch heute noch mit ihren Superkräften: Das mikroskopisch kleine Bärtierchen kann seinen Stoffwechsel durch Austrocknung reduzieren und so die widrigsten Lebensbedingungen überstehen. Nacktmulle sind kleine Nagetiere, die unterirdisch in Höhlensystemen leben, sehr alt werden, kaum an Erkrankungen wie Krebs leiden und unempfindlich gegen Schmerzen sind. Lebensechte Modelle dieser und weiterer Tiere aus den Werkstätten der Zoologischen Präparation des Frankfurter Forschungsinstituts und Naturmuseums sind in der Ausstellung zu sehen.

Doch nicht nur das Potential zur Heilung schlummert in der Natur. Auch Infektionskrankheiten, sogenannte Zoonosen, können zwischen Tieren und Menschen übertragen werden. „Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Zoonosen steigt durch Bevölkerungswachstum, globalen Handel, zunehmende Mobilität, Klimaveränderungen, Wildtiermärkte, Massentierhaltung und das Eindringen des Menschen in natürliche und naturnahe Lebensräume“, erklärt Tockner. Drei große Modelle von Krankheitserregern – das Coronavirus SARS-CoV-2, ein Pest-Bakterium und ein Malaria-Erreger – hängen in der Ausstellung über einem Tisch, an dem man sich über verschiedene zoonotische Infektionskrankheiten informieren kann.

Neue Dauerausstellung“ Natur + Medizin“ ab dem 18. April im Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, Senckenberganlage 25, 60325 Frankfurt am Main.

Eintritt: 12 Euro, Kinder und Jugendliche 6-17 Jahre: 6 Euro, weitere Preise und online-Tickets unter: senckenberg.ticketfritz.de

Öffnungszeiten: Täglich von 9 bis 17 Uhr, Mittwoch bis 20 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertage bis 18 Uhr. Das Museum ist am Karfreitag, 24. Dezember, 31. Dezember und 1. Januar geschlossen.

Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist eine Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft und erforscht seit über 200 Jahren weltweit das „System Erde“ – in der Vergangenheit, der Gegenwart und mit Prognosen für die Zukunft. Wir betreiben integrative „Geobiodiversitätsforschung“ mit dem Ziel die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Zudem vermittelt Senckenberg Forschungsergebnisse auf vielfältige Art und Weise, vor allem in den drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden. Die Senckenberg Naturmuseen sind Orte des Lernens und Staunens und sie dienen als offene Plattformen dem demokratischen Dialog – inklusiv, partizipativ und international. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.