Long COVID bezeichnet eine Krankheit, bei der die Symptome einer Corona-Infektion mehr als vier Wochen andauern. Langzeitfolgen über drei Monate hinaus fallen unter den Begriff Post COVID-Symptom. Schätzungen zufolge sind weltweit zehn bis 30 Prozent aller COVID-19-Erkrankten betroffen, in Deutschland Hunderttausende – Mädchen und Frauen häufiger als Jungen und Männer. Dennoch gebe es zu wenig Erkenntnisse, bedauerte Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Schwer abgrenzbar sei zudem das breite Spektrum der Post COVID-Symptomatik. Denn neben Herz-Kreislauf-, Lungen- und Autoimmun-Erkrankungen gebe es auch Angststörungen und Depressionen. Was sich eindeutig abgrenzen lässt, ist die schwerste Form von Post COVID, bereits bekannt als Myalgische Enzephalomyelitis bzw. Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS). Prof. Dr. Scheibenbogen forscht seit über zehn Jahren zu dieser Krankheit, die von starken Schmerzen und großer Belastungsintoleranz geprägt ist. Häufig funktioniere die Kreislaufsteuerung nicht mehr, sodass die Betroffenen im schlimmsten Fall nur noch liegen könnten. Ihre Lebensqualität sei schlechter als bei vielen Krebserkrankungen, bestätigte Prof. Dr. Lauterbach und ergänzte: Obwohl man die Symptome wie Schmerzen behandeln könnte, würden entsprechende Medikamente „viel zu selten" eingesetzt, stark aktivierende, schädliche Therapien dagegen häufig.
Skepsis aufseiten der Versorger nannte Prof. Dr. Scheibenbogen ein weiteres Problem. So wachse zwar der Informationsbedarf, sagte die Wissenschaftlerin, die selbst digitale Fortbildungen für bis zu 1.000 Ärztinnen und Ärzte anbietet. Aber viele ließen sich auch nicht erreichen, andere leugneten den biologischen Anteil der Krankheit und erklärten ME/CFS zur psychosomatischen Erkrankung. „Dadurch werden Diagnosen nicht gestellt oder nicht anerkannt, ebenso wenig wie die Pflegestufe und Erwerbsminderungsrente, um die sich Betroffene bemühen." Eine Analyse, die sie mit Prof. Dr. Lauterbach teilte, ebenso wie die Auffassung, dass auch in der Verwaltung ein Umdenken bzw. Fortbildungen dringend erforderlich sind. Einig waren sich beide auch darin, dass verlässliche Daten gebraucht werden, um zu ermitteln, welche Medikamente und Therapien – wie zum Beispiel die Apherese, das Entfernen schädlicher Autoantikörper – bei welchen Patienten wirksam sind. Die Pharmaindustrie aber zöge sich aus der Verantwortung, Medikamente zu entwickeln, kritisierte Prof. Dr. Scheibenbogen.
Prof. Dr. Lauterbach entgegnete, dass diese Zurückhaltung auch mit speziellen rechtlichen Bedingungen in Deutschland zu tun habe. Daher arbeite er an einem „neuen Gleichgewicht zwischen Daten- und Patientenschutz", wovon nicht nur das Patientenwohl, sondern auch die Wirtschaftskraft abhänge. Politisch sprach er sich dafür aus, in den nächsten Jahren über 100 Millionen Euro für den Ausbau der Versorgungsforschung zu investieren. „Ich könnte mir vorstellen, deutschlandweit zehn Zentren mit unterschiedlichen Versorgungsansätzen aufzubauen", sagte Lauterbach.
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