Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Berthold Koletzko ist einer der renommiertesten und erfolgreichsten deutschsprachigen Forscher auf dem Gebiet der Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin. Seit fast drei Jahrzehnten hat er als Extraordinarius für Kinder- und Jugendmedizin die Abteilung Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München geleitet. Im Oktober 2020 trat Prof. Dr. Berthold Koletzko die neu eingerichtete Else Kröner Seniorprofessur an der LMU München an. Mit der Einrichtung der Seniorprofessur möchte die Else Kröner-Fresenius-Stiftung auch die Zusammenarbeit zwischen der Abteilung der LMU München und dem Else Kröner Fresenius Zentrum für Ernährungsmedizin an der TU München stärken.
Lieber Herr Prof. Koletzko, im Januar dieses Jahres haben Sie die neu eingerichtete Else Kröner Seniorprofessur an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München angetreten. Welche Vorteile sehen Sie in der Zusammenarbeit der LMU München und dem Else Kröner Fresenius Zentrum für Ernährungsmedizin (EKFZ) an der TUM München?
Zunächst danke ich der Else Kröner-Fresenius-Stiftung sehr herzlich für die Unterstützung der Seniorprofessur und damit der wissenschaftlichen Arbeit unserer Gruppe. Das eröffnet uns große zusätzliche Chancen. Ein Teil der Förderung dient auch direkt der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit den Arbeitsgruppen der drei Professoren am EKFZ an der TUM und damit der Stärkung wissenschaftlicher Synergien am Standort München, was uns auch im internationalen Vergleich stärkt. Wir haben zusätzlich die Option diskutiert, diese wichtige wissenschaftliche Kooperation der Münchener metabolischen und nutritiven Forschung künftig auch strukturell zu verankern, z. B. durch Erweiterung des EKFZ mit Einschluss der pädiatrischen Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin an der LMU.
Der Schwerpunkt ihrer Forschung liegt im Bereich von Stoffwechsel- und Ernährungsfragen im frühen Kindesalter. Welche Forschungsziele verfolgen Sie aktuell im Rahmen der Else Kröner Seniorprofessur?
In drei großen, multizentrischen klinischen Langzeitstudien untersuchen wir mögliche Auswirkungen der frühkindlichen Ernährung auf die spätere Gesundheit, also die mögliche metabolische Programmierung von Krankheitsrisiken, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität während früher Phasen der entwicklungsbiologischen Plastizität. Mit Förderung u.a. durch verschiedene europäische Projekte versuchen wir, zugrundeliegende Mechanismen zu charakterisieren mit dem Ziel, noch gezielter und wirksamer zu intervenieren. Hier setzen wir in unserem Labor auch differenzierte Metabolom- und Lipidom-Analysen ein. Schließlich versuchen wir, bioaktive Kompenenten in der Muttermilch zu charakterisieren, welche die Gesundheit gestillter Säuglinge fördern können. Im Sinne der translationalen Applikation aktueller Forschungsergebnisse implementieren wir digitale Lernplattformen in Kombination auch mit Präsenzkursen für Multiplikatoren, mit Schwerpunktprojekten u.a. in Südafrika und Indonesien.
Kürzlich wurden Sie von der unabhängigen Initiative „Expertscape“ in den USA als ein führender „World Expert“ im Bereich der Forschung zu Muttermilch und Stillen sowie als der führende Experte weltweit in den Bereichen “infant nutritional physiological phenomena”, “child nutritional physiological phenomena” und “child nutrition science” ausgezeichnet – auf der Grundlage Ihrer wissenschaftlichen Arbeiten der letzten 10 Jahre. Herzlichen Glückwunsch! Übergewicht und Adipositas sind bei Kindern und Jugendlichen ein ernst zu nehmendes Problem. Welche Rolle spielt dabei die frühkindliche Ernährung?
Herzlichen Dank für die freundlichen Glückwünsche, über eine solche Anerkennung freut man sich natürlich. Ja, Übergewicht und Adipositas sind bei Kindern und Erwachsenen zu einer globalen Pandemie geworden, mit ernsten Folgen für Gesundheit, Lebenschancen und auch gesellschaftliche Kosten. In jedem Alter sind hier Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten wichtig. Unsere Arbeiten haben aber auch gezeigt, dass Ernährung und Wachstum in den ersten beiden Lebensjahren das spätere Risiko stark prägen. Gestillte Kinder haben später ein um 15 bis 25% vermindertes Adipositasrisiko. Den Nutzen des Stillens konnten wir nachahmen durch eine Annährung der Eiweißzufuhr in Flaschennahrungen an das Niveau in Muttermilch. Hierdurch wurde Adipositas im Schulalter um das 2,6fache vermindert, ein stärkerer Effekt als in allen anderen evaluierten Präventionsmaßnahmen im Kindesalter. Aktuell untersuchen wir, ob auch eine optimierte Eiweißqualität zur langfristigen Gesundheitsförderung beitragen kann.
Vielen Dank.