„Wir suchen aktiv nach Covid-19-Positiven, um die Verbreitung in den Slums zumindest zu verlangsamen“

Seit Beginn der weltweiten Corona-Pandemie berichten die Projektleiter der medizinisch-humanitären Förderprojekte der Else Kröner-Fresenius-Stiftung (EKFS) regelmäßig über die Folgen der Krise in Entwicklungsländern.
Dr. Vetye andTeam

Sie sind mit immensen Schwierigkeiten im Kontext der Beschränkungen und Ausgangssperren konfrontiert – oft in Verbindung mit Armut, Unter- bzw. Mangelernährung und überlasteten öffentlichen Gesundheitssystemen. Saisonal bedingt trafen im März beispielsweise in den Armutsvierteln von Buenos Aires mehrere Epidemien zugleich zusammen: Covid-19, Influenza, Dengue-Fieber und dazu Hunderte von Masernfällen, weil in den letzten Jahren die Impfrate zu gering war.

Seit mehr als zehn Jahren sichern die Pharmazeutin Dr. Carina Vetye und Apotheker ohne Grenzen Deutschland e.V. in einem Armenviertel, Villa Zagala, in Buenos Aires Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen den Zugang zu Medikamenten. Für ihr Projekt hat die Deutsch-Argentinierin 2018 den mit 100.000 Euro dotierten Else Kröner Fresenius Preis für Medizinische Entwicklungszusammenarbeit erhalten.

Durch die Corona-Pandemie entwickeln sich dort die Probleme wie sonst eher aus Flüchtlingslagern bekannt: „Unsere Slumbewohner sind internally displaced persons – intern Vertriebene. Es leben zu viele Menschen auf zu wenig Raum. Distanzwahren ist unmöglich. Hände waschen ist nicht einfach, weil Wasser fehlt bzw. nicht genügend Wasserhähne oder Seife vorhanden sind. Händedesinfektionsmittel können sich die Familien oft nicht leisten; Mundschutz ebenso wenig. In Villa Zagala leben überdurchschnittlich viele Kleinkinder und Kinder, die die Empfehlungen der Behörden aufgrund ihres jungen Alters nicht einhalten können. „Die Menschen bleiben nicht in ihren engen Behausungen. Sie haben nicht einmal die in Flüchtlingslagern als Mindestfläche empfohlenen Quadratmeter pro Person zur Verfügung“, erläutert Carina Vetye. „Wegen der Aedes-Mücke, dem Überträger von Dengue-Fieber, sollen die Fenster geschlossen bleiben. Wegen Covid-19 soll aber gut gelüftet werden: Beides zusammen geht nicht!“

Als Folge der Ausgangssperre gehen die Projektmitarbeitenden jetzt kilometerweit zu Fuß zu ihren Gesundheitsstationen, da die Busse zu voll sind und sie den empfohlenen Mindestabstand darin nicht einhalten können. Oft sind elementare Dinge zum Schutz des Personals wie Händedesinfektionsmittel, Mundschutze, Mückenschutz, Kernseife, Flächendesinfektionsmittel oder Einmal-Schutzschürzen nicht vorhanden. Daneben fehlen Basisarzneimittel wie Paracetamol zur Behandlung regulärer Krankheiten. Die Stadtverwaltung hat keine Mittel mehr. „Ich habe 100 Schutzschürzen bestellt und lediglich zehn Stück erhalten. Von den 100 bestellten Mundschutzen kamen lediglich fünf Stück bei uns an“, verdeutlicht die Leiterin des Gesundheitszentrums Bibiana Pignolino die Problemlage.

Das Team unternimmt trotz Ausfalls von an Covid-19 erkranktem Personal enorme Anstrengungen, um sowohl den Alltag als auch die Probleme aufgrund der Pandemie zu stemmen: „Wer im Gesundheitszentrum ist, übernimmt Arbeit von denjenigen, die ausfallen“, erläutert die Projektleiterin. „Unsere Krankenschwester empfängt die monatlichen Medikamenten-Kits der Regierung und arbeitet zugleich in der lokalen Apotheke mit. Unsere zweite Zahnärztin ist beim Triage an der Eingangstür eingesetzt. Bei den Testtagen in den Slums musste ich gleichzeitig befragen, schreiben und Temperatur checken, weil wir keine Zweier-Teams zusammenbekommen. Es ist wichtig, aktiv nach Covid-19-Positiven zu suchen, um die Verbreitung in den Slums zumindest zu verlangsamen“, erläutert Vetye die Situation. „Leider haben wir schon Patienten verloren, die an Covid-19 gestorben sind. Die Menschen hier im Viertel sind sehr besorgt und vorsichtig.“

Durch die strenge Ausgangssperre ist die Armut in Villa Zagala spürbar gestiegen. Die Kriminalität nimmt zu. „Die Überfälle werden blutiger, weil beide – der Überfallende und der Überfallene – verzweifelt sind. Früher hat man sich Tasche oder Handy wegnehmen lassen, nun ist das Gestohlene nicht mehr ersetzbar. Also hält man alles fest und kämpft darum. Drei unserer Mitarbeiterinnen sind im Juni überfallen worden – allerdings in einem anderen Viertel“, beschreibt Carina Vetye die Zustände. „Das Heer verteilt Essen, die Suppenküchen kämpfen mit der steigenden Anzahl an Bedürftigen und auch einer unserer Mitarbeiter kocht mit Hilfe seiner Familie an den Wochenenden für diejenigen im Viertel, die nichts mehr zu essen haben.“

Doch es gibt auch Hoffnung: „Obwohl unsere Patienten zu den Covid-19-Risikogruppen gehören und Angst haben, kommen sie regelmäßig zur Apotheke“, freut sich Bibiana Pignolino. Das Projekt läuft trotz Corona-Pandemie weiter, die chronisch Kranken werden versorgt und es wurden sogar neue Patienten aufgenommen: „Von Patienten mit Diabetes bis Epilepsie und rheumatoider Arthritis – wir versuchen so vielen wie möglich zu helfen. Und das Preisgeld der Else Kröner-Fresenius-Stiftung stellt dabei eine enorme Hilfe dar“, betont Vetye.